Kopfschmerzen und ÜbelkeitStudien erklären, was es mit dem Havanna-Syndrom auf sich hat

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Eine Frau hält sich ihren Kopf

Immer mehr Menschen im Umfeld haben Kopfschmerzen, und plötzlich pocht auch der eigene Schädel? Das könnte etwas mit dem Havanna-Syndrom zu tun haben.

Nocebo- statt Placebo-Effekt? Unser Kolumnist Magnus Heier erklärt, was das Havanna-Syndrom ist. Mit zwei Studien – und dem Münster-Tatort.

Zugegeben, der Tatort im Ersten gilt nicht als Dokumentation. Und der aus Münster schon gar nicht. Trotzdem war es selbst für die skurrilen Münsteraner Kommissare eine ungewöhnlich skurrile Drehung, dass der Pathologe Boerne mit dem Mord an einer Frau in einem Kleingarten auch gleich noch ein seit Jahren international diskutiertes Phänomen mit aufklärte: das Havanna-Syndrom.

Magnus Heier

Magnus Heier

ist Autor und Neurologe und schreibt die wöchentliche Medizinkolumne „Aus der Praxis“.

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Vor acht Jahren wurde erstmals in der kubanischen Hauptstadt unter dem US-amerikanischen Botschaftspersonal ein Symptomkomplex aus Kopfscherzen, Übelkeit oder Migräne beobachtet. Ähnliche Symptome tauchten später auch in China, Australien und einigen anderen Ländern auf – interessanterweise vor allem bei Diplomaten und Spionen. Und schnell wurde auch der Verdacht auf eine irgendwie neuartige Waffe laut.

Damit ist die sehr schlichte Tatort-Erklärung einer Mikrowellenwaffe vom Tisch.
Magnus Heier

Im Tatort nun erklärt sich der Mord im Kleingarten durch eine Mikrowellenwaffe: Das Gehirn des Opfers war gleichsam verkocht worden. Eine realistische Erklärung auch für das Havanna-Syndrom? Eher nicht.

Zufällig fast zeitgleich zum Tatort erschienen Studien zu diesem Thema in dem renommierten „Journal of the American Medical Association“. Kurz zusammengefasst: In den Untersuchungen wurden keinerlei sichtbare Veränderungen in den Gehirnen der Betroffenen gefunden. Und auch umfangreiche Blutuntersuchungen ergaben keinerlei Anhalt für eine messbare Abnormalität. Damit ist die sehr schlichte Tatort-Erklärung einer Mikrowellenwaffe vom Tisch.

Aber natürlich bleibt die Frage: Was ist dann die Ursache für die sehr zahlreichen Fälle? Natürlich tauchte sofort der Begriff „psychosomatisch“ auf; irgendwie auch stressbedingt. Und ebenso vorhersehbar wehren sich viele der Betroffenen gegen diese Einordnung.

Nocebo statt Placebo

Aber es gibt noch einen anderen Erklärungsansatz: den Nocebo-Effekt. Den weniger bekannten Zwilling des Placebo-Effekts. In beiden Fällen erfüllt sich eine Erwartung: Beim Placebo-Effekt die Erwartung, dass eine Tablette, eine Operation oder was auch immer die Symptome lindert. Und oft hilft sie dann auch – ohne Wirkstoff, allein durch die Erwartung.

Beim Nocebo-Effekt passiert dasselbe – nur im negativen Sinne: Die Angst vor Nebenwirkungen, vor Schmerzen, vor Übelkeit führt mit großer Wahrscheinlichkeit zu eben diesen Nebenwirkungen. Auch, wenn es keine objektiv messbare Ursache gibt.

Ein spektakulärer Fall war eine vermeintliche Gasvergiftung in einer Schule: Mehrere Schüler und Lehrer meinten, Gas zu riechen. Sehr viele wurden krank. Am Ende stellte sich heraus, dass es keinerlei Gasaustritt gegeben hatte. Aber die Symptome waren sehr real.

Kann das Havanna-Syndrom so ein Fall sein? Theoretisch ja, die Konstellation wäre ganz typisch: Immer mehr Menschen, in diesem Fall Arbeitskollegen, klagen über vergleichbare Symptome. Und immer öfter wird über eine Ursache – in diesem Fall eine Art Strahlenwaffe – diskutiert. Diese Gemengelage macht Angst. Und kann zu schweren Symptomen führen. Wahrscheinlich war es so – sicher ist es nicht.

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