Kölner StadtarchivSoftware soll beim gigantischen Puzzle helfen

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Erst säubern, dann scannen: Mit einer Luftpistole schießt Michael Helm Papierpartikel auf ein Dokument, um Staub und Dreck zu beseitigen.

Erst säubern, dann scannen: Mit einer Luftpistole schießt Michael Helm Papierpartikel auf ein Dokument, um Staub und Dreck zu beseitigen.

Köln – Das weiße Pulver, mit dem Michael Helm einen Fetzen aus einer noch unerkannten Urkunde beschießt, ist mit bloßem Auge kaum zu sehen. Nur 40 Mikrometer Durchmesser haben die einzelnen Partikel des Zellulosepulvers, mit dem vor allem die scharfkantigen Steinchen aus dem Bauschutt des eingestürzten Stadtarchivs vom Papier geschossen werden, ohne Kratzer zu hinterlassen. Bleistiftnotizen bleiben unberührt. „Ein Schwamm würde wie Schmirgelpapier wirken, und selbst der weichste Pinsel wäre nicht so sanft wie dieses Verfahren mit Zellstoff, also Papier“, erklärte seine Chefin, die Diplomrestauratorin Nadine Thiel. 55 Restaurierungshelfer und 25 Restauratoren stehen ihr bei der Aufarbeitung der vor sieben Jahren beim Einsturz des Stadtarchivs teils zerfetzten Dokumente zur Verfügung.

Zustand des Archivguts

98 Prozent der Dokumente, die am Einsturztag, dem 3. März 2009, mit dem Historischen Archiv der Stadt Köln in die KVB-Baugrube am Waidmarkt stürzten, gelten als geborgen.

Allerdings sind die Akten und Bücher, die damals in 35 Kilometern Regalen lagerten, so durcheinandergewirbelt und zerfetzt worden, dass nun nur noch von Bergungsgut gesprochen werden kann. Mehr als ein Drittel, 600 000 Bergungseinheiten, sind bis Ende 2015 als „aufgefunden und wieder verfügbar“ in Listen eingetragen worden.

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Mehr als 20 Archive zwischen Freiburg und Schleswig nahmen jahrelang die Hälfte des Bergungsguts auf. Nun wird es in Düsseldorf im Landesarchiv zusammengefasst. Die letzten sechs Asylarchive müssen noch dieses Jahr geräumt werden.

Die andere Hälfte des Bergungsguts lagert in Köln im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum der Stadt. Was aus dem Grundwasser gezogen und danach eingefroren wurde, ist inzwischen so weit behandelt, dass es nicht verschimmeln kann. Nun ist der alkalische Betonstaub aus den zerriebenen Bauteilen des Archivs, der größte Feind des Papiers.

Das gilt auch für die etwa zwei bis drei Millionen Papierschnipsel, die nun mit einer Spezialsoftware zusammengepuzzelt werden sollen. Sie machen etwa zwei oder drei Prozent des Gesamtbestandes aus.

Der „Weichpartikelstrahl-Arbeitsplatz“ im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum in Lind hat 25 000 Euro gekostet und ist eigens für die Arbeit dort konstruiert worden. Die Technik ist an der TH Köln unter Professor Robert Fuchs entwickelt worden. „Damit kann man auch Buchmalereien und sogar Kohlezeichnungen reinigen“, sagt Thiel. Denn selbst wenn das Verfahren wie Sandstrahlen funktioniert, so darf es doch nichts Wesentliches Beschädigen. Selbst Tipp-Ex muss an einem Dokument haften bleiben, wo es war.

Der neue Arbeitsplatz ist derzeit in die Vorstufe für die zweite technologische Neuerung in der Archivgutaufarbeitung eingebunden: Die Firma „Musterfabrik“ aus Berlin, ein Ableger des Fraunhofer Instituts für Produktions- und Konstruktionstechnik, hat sich die Erfahrungen aus der Aufarbeitung der zerschnipselten Stasi-Akten zunutze gemacht. „Allerdings standen wir hier bei der Erarbeitung der Software vor ganz neuen Schwierigkeiten“, erklärte Dr. Marc von der Linden, der an der Entwicklung des Geräts beteiligt war. „Wenn ein Papierfetzen im Wasser lag, eingefroren und wiederhergestellt wurde, passt die Risskante nicht mehr 100-prozentig zum vielleicht trocken gebliebenen Gegenstück. Selbst die Farbe kann sich dann ändern“ Die Software ist zwischenzeitlich recht erfolgreich beim Auffinden von passenden Puzzle-Paaren. Sie kann auch zahlreiche Schriften unterscheiden, muss aber weiter angelernt werden, um die Trefferquote noch zu verbessern. Selbst wenige Millimeter kleine Fetzen werden eingescannt und von der Puzzlesoftware erfasst. Restaurierungshelfer Hartmut Ring fütterte den Computer gestern zusätzlich mit wichtigen Informationen über die frisch gescannten Stücke. „Die Papierbeschaffenheit kann nur der Mensch erkennen, und die Vorsortierung erspart es, jedes Teil mit jedem zu vergleichen, denn Karton gehört eben nicht zu dünnem Papier“, sagte von der Linden.

Laut Restauratorin Katharina Weiler schafft der 100 000 Euro teure Scannerarbeitsplatz 6000 Fragmente im Monat. Allerdings warten zwei bis drei Millionen Schnipsel darauf, erkannt und zusammengepuzzelt zu werden. „Von Hand wäre die Lösung dieses Puzzles selbst mit aller Hingabe und Engelsgeduld utopisch“, sagte Bettina Schmidt-Czaia, Leiterin des Stadtarchivs. Sie wünscht sich, dass die Papierfetzen alle zu Akten und Büchern zusammenfinden – und, dass das Stadtarchiv am Eifelwall neu entsteht.

Petra Rinnenburger, die Leiterin der Gebäudewirtschaft, kündigte gestern die Ausschreibung von Erdarbeiten an, so dass um Ostern gebaggert werden kann. Der derzeitige Bauverzug von vier Wochen könne bis zur Eröffnung 2019 eingeholt werden.

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