Tiefpunkt erreichtWarum die Kölner Haie seit 2002 auf neunten Meistertitel warten

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Das Gesicht der Haie in der jüngeren Vergangenheit ist geprägt von Enttäuschungen wie hier nach dem Playoff-Aus gegen Berlin.

Das Gesicht der Haie in der jüngeren Vergangenheit ist geprägt von Enttäuschungen wie hier nach dem Playoff-Aus gegen Berlin.

Köln – Die öffentlichen Treueschwüre hielten nicht mal einen Monat: Exakt drei Wochen, nachdem Geschäftsführer Philipp Walter seinem Trainer Mike Stewart das Vertrauen und eine Jobgarantie für die kommende Saison ausgesprochen hatte, entließen die Kölner Haie Stewart an Karneval 2020 doch. Zuvor hatte bereits Sportdirektor Mark Mahon gehen müssen.

Stewarts Nachfolger Uwe Krupp gelang es immerhin, die Einstellung des Niederlagenrekordes in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) zu verhindern, doch auch ohne ihn hatten die einst so stolzen Haie den vorläufigen Tiefpunkt ihrer Club-Historie erreicht.

Wie konnte es so weit kommen? Zwischen der bislang letzten Meisterschaft 2002 und 2008 zählten die Kölner noch zur Riege der Titelanwärter und zogen zweimal ins Finale ein. Doch durch ein Seuchenjahr inklusive wirtschaftlicher Probleme verloren sie den Anschluss an die nationale Elite, den sie – mit Ausnahme eines Zwischenhochs inklusive zweier weiterer Finalteilnahmen 2013 und 2014 – auf Dauer nie mehr schafften.

Viele Fehlentscheidungen bei Kölner Haien

Inzwischen ist der Club auch durch zahlreiche Fehlentscheidungen im sportlichen Bereich bestenfalls Mittelmaß in der DEL. Nach zwischenzeitlicher Abstiegsgefahr schaffte er es in dieser Saison immerhin erstmals seit 2019 wieder in die Play-offs. Trotzdem bröckelt die Unterstützung des lange geduldigen Anhangs: Jüngst meldete sich eine Fan-Initiative zu Wort, die unter dem Motto „SuNitWigger“ Missstände anprangert und eine „Kurskorrektur“ fordert. Die Rundschau hat mit Fans, (Ex-)Spielern, DEL-Insidern sowie Journalisten gesprochen und Gründe zusammengetragen, warum es bei den Haien hakt.

Als Hauptrunden-Sechster zum Titel

20 lange Jahre ist es her, dass der achtfache Deutsche Meister Kölner Haie am 21. April 2002 zum bislang letzten Mal den Titel gewinnen konnte. Das am Ende der Saison von Rich Chernomaz trainierte Team ging nur von Hauptrundenplatz sechs aus in die Playoffs. Nach einem 3:0-Viertelfinalerfolg gegen Krefeld brauchte der KEC im Halbfinale gegen München fünf Spiele, um mit 3:2 den Finaleinzugperfekt zu machen.

In der Finalserie setzten sich die Haie ebenfalls mit 3:2 gegen Titelverteidiger Adler Mannheim durch. Das Meisterteam: Tor: Rogles, Pätzold, Hirt. – Verteidigung: Renz,Miner,Lüdemann,Porkka, Liimatainen, Schlegel, Mayr. –Sturm: Norris, Hicks, Faust, Sundbald, Young, Millen, Boos, Schinko, Hinterstocker, McLlwain, Bertrand, Kuzminski, Danielsmeier, Ullmann. – Trainer: Nethery, Chernomaz.

Die Kölnische Rundschau erinnert in einer fünfteiligen Serie an die Meisterschaft der Kölner Haie in der Saison 2001/02.

Finanzen: Die Kölner haben mit den höchsten Zuschauerschnitt in der DEL – entsprechend brutal trafen die Geisterspiele in der Corona-Pandemie den achtfachen deutschen Meister. Doch schon zuvor waren die Haie trotz Gesellschafter Frank Gotthardt längst nicht mehr der „FC Bayern des Eishockeys“, als der sie Ex-Trainer Hans Zach einst betitelte.

Das mit Abstand meiste Geld sitzt beim alten Rivalen Adler Mannheim mit dem SAP-Konzern im Rücken, bei Red-Bull-Club EHC München und dem DEL-Rekordmeister Eisbären Berlin, der der Anschutz-Gruppe gehört. Wahr ist jedoch auch: Andere Clubs mit geringeren finanziellen Möglichkeiten als die Kölner schneiden regelmäßig besser ab – das beste Beispiel sind die Pinguins Bremerhaven.

Auch Personalpolitik der Kölner Haie ist mangelhaft

Bei den Top-Clubs Mannheim, Berlin, München und Wolfsburg herrscht auf den Positionen des Sportdirektors und Trainers in der Regel über einen langen Zeitraum hinweg Kontinuität und unbestrittener Sachverstand. Das lässt sich von den Haien nicht behaupten, die sich aktuell sogar den zweifelhaften Luxus gönnen, auf einen renommierten und auf Spitzenniveau erfahrenen Sportdirektor zu verzichten.

Kaum verwunderlich, dass auch die Auswahl des spielenden Personals höheren Ansprüchen zuletzt selten genügte. Zu wenig Beständigkeit im Kader, eine halbherzige beziehungsweise maximal aus der finanziellen Not geborene Nachwuchsförderung, keine klare Rollenverteilung und Leistungskultur, kaum deutsche Top-Spieler, zu viele mittelmäßige Imports, dazu teure und überlange Verträge (zum Beispiel fünf Jahre für Alexander Sulzer) und (teils juristische) Auseinandersetzungen vor einer Trennung (Philip Gogulla, Shawn Lalonde, Patrick Hager): In der Personalpolitik der Haie fehlt Fingerspitzengefühl und ein roter Faden.

Das Scouting ist ausbaufähig: Transfercoups anderer DEL-Klubs wie Chris DeSousa (Wolfsburg, Saison 2021/22), Trevor Parkes (Augsburg, 16/17) oder Jaedon Descheneau (Düsseldorf, 18/19) gelangen dem KEC seit der letzten Finalteilnahme 2014 kaum einmal. Anstatt wie andere Clubs auf hungrige, aufstrebende und zudem preisgünstigere Profis aus weniger starken Ligen zu setzen, holten die Haie zu oft alternde „Stars“ aus prominenteren Ligen.

Auch etablierte DEL-Kräfte konnten in Köln häufig nicht an ihre Vorleistungen anknüpfen – etwa Verteidiger Maury Edwards und Stürmer Jason Bast. Wie durchschnittlich vor allem die Offensive seit Jahren besetzt ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Von den jeweils zehn besten Scorern der vergangenen zehn Spielzeiten, insgesamt also 100 Profis, trugen nur sechs das KEC-Trikot.

Kölner Haie in der Identitätskrise

Die meisten DEL-Clubs verfolgen klare Strategien. Mannheim etwa hat wie Berlin den Anspruch, die erste Adresse in Deutschland zu sein und pflegt partnerschaftliche Kontakte in die NHL. München setzt mit der Red-Bull-Akademie auf konsequente Förderung von Top-Talenten, die mit Top-Ausländern um den Titel kämpfen sollen. Wolfsburg wiederum ist bekannt dafür, stark auf Kontinuität sowie Teamgeist zu bauen und dank des findigen Sportdirektors Charly Fliegauf stets neue Top-Importspieler in die Liga zu holen. Straubing und Iserlohn inszenieren sich als gallische Dörfer, die DEG ist arm, aber wenigstens lustig.

Und wofür stehen die Haie? Ein Top-Team sind sie nicht mehr – doch mit der Suche nach einer anderen Rolle fremdeln sie. Laut eigenem Markenbild sind sie „authentisch, sympathisch und einzigartig“, die Mannschaft wirkt allerdings ziemlich beliebig und austauschbar. Identität und Identifikation können so kaum entstehen.

Lanxess-Arena fehlt europäische Eishockey-Atmosphäre

Die Lautstärke einer ausverkauften Lanxess-Arena ist beeindruckend, doch Druck und die traditionell riesige Erwartungshaltung von mehr als 18.600 Fans können auch lähmen. Bei einem durchschnittlichen Haie-Heimspiel ist das „Henkelmännchen“ jedoch alles andere als ein Hexenkessel, versprüht keine europäische Eishockey-Atmosphäre und wirkt damit leistungshemmend. Die enttäuschende Stimmung überträgt sich auf die Mannschaft, eine Bindung zwischen Anhängern und Team entsteht kaum.

Verlierer-Mentalität. Wichtige Spiele gingen in der jüngeren Vergangenheit zu häufig verloren, man denke nur an zahlreiche Derbypleiten gegen die DEG. Vor allem haben aber die vier verlorenen Endspielserien seit 2002 am Kölner Selbstverständnis genagt. 2003, 2008 und 2014 ging das jeweils entscheidende Spiel in eigener Halle verloren – beim letzten Mal besonders schmerzhaft, weil die Haie in der Serie gegen Ingolstadt 2:0 geführt hatten. Auch Kapitän Moritz Müller und Trainer Uwe Krupp warten trotz dreier Finalteilnahmen noch auf ihren ersten deutschen Meistertitel. Siegermentalität ist etwas anderes.

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