Interview mit FC-Sportchef Christian Keller„Das war eine Fehleinschätzung von mir“

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Seit April 2022 am Geißbockheim tätig: Der gebürtige Schwarzwälder Christian Keller (45).

Seit April 2022 am Geißbockheim tätig: Der gebürtige Schwarzwälder Christian Keller (45).

Dem 1. FC Köln droht der siebte Bundesliga-Abstieg der Vereinsgeschichte. Im Interview spricht Sportchef Christian Keller über Rückschläge, Fehler und seine Zukunft.

Herr Keller, die vom FC ausgerufene „Crunchtime“ hat mit vier Punkten aus drei Spielen begonnen. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Aus meiner Sicht sind wir in Bezug auf Punkte und Gegner im Soll. Wir haben gegen ein sehr gutes Augsburg, das sich anschickt, europäisch zu spielen, einen Punkt geholt. Der Sieg gegen Bochum war ein Muss. München war ein Bonusspiel. Trotzdem war die Niederlage ärgerlich, weil es möglich gewesen wäre, einen Punkt mitzunehmen.

Dennoch ist der Rückstand auf den Relegationsrang erstmals auf vier Punkte gewachsen. Wie bewerten Sie die Ausgangslage?

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Ich bin mir sehr sicher, dass der Rückstand nach Abschluss des 30. Spieltages wieder deutlich kleiner sein wird.

Für die Rettung hilft nur noch eine Siegesserie. Wie groß ist Ihre Hoffnung, wenn in 29 Spieltagen keine zwei Siege in Folge gelungen sind?

Ich würde gerne Hoffnung durch Überzeugung ersetzen. Die Überzeugung ist zu 100 Prozent da. Wenn das nicht so wäre, könnten wir den Spielbetrieb einstellen.

Welche Bedeutung messen Sie den anstehenden Kellerduellen gegen Darmstadt und Mainz bei?

Der Austausch mit dem Vorstand an der Spitze sowie den Gremien ist sehr offen und konstruktiv. Wenn es sein muss auch kritisch und Sachkonflikte nicht scheuend.
Christian Keller

Wir werden Darmstadt schlagen. Mit drei Punkten mehr auf dem Konto geht es dann nach Mainz, da ist Crunchtime.

Was erwarten Sie gegen Darmstadt für eine Partie?

Ein Spiel, bei dem es für uns ausschließlich um drei Punkte gehen und in dem der Gegner uns aber sicherlich nichts schenken wird.

Wie wird intern mit dem Druck umgegangen?

Wir versuchen, Impulse oder auch mal Reizpunkte zu setzen. In der Länderspielpause haben wir der Mannschaft mit auf den Weg gegeben, dass es darum geht, sich auf das zu freuen, was im Saisonendspurt an Herausforderung vor uns liegt und wir gemeinsam stemmen können. Ich bin der Meinung, dass viele Spieler im Kopf inzwischen einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht haben. Das Spiel gegen Bochum hat uns dabei sicherlich gutgetan. In München haben wir uns auf dem Platz deutlich befreiter verhalten als in den Wochen zuvor.

Wie nehmen Sie die Mannschaft in ihrem Innenverhältnis wahr?

Als absolut intakte Einheit, in der eine hohe Identifikation mit dem FC herrscht. Die Mannschaft hat den absoluten Willen, die Liga trotz der herausfordernden Ausgangsposition zu halten.

Wie erleben Sie die Stimmung im Club und auf der Geschäftsstelle?

Jeder weiß, worum es geht. Es ist bei allen eine Anspannung da. Nichtsdestotrotz geht es darum, eine gute Balance aus dieser Anspannung und einem gewissen Maß an Entspannung zu finden. Es braucht auch Lockerheit. Wenn man die ganze Woche bei 100 Prozent Anspannung ist, dann ist das nicht leistungsfördernd.

Sie sind 2022 als Wunschkandidat des Vorstands verpflichtet worden. Wie ist Ihr Austausch mit dem Präsidium in Krisenzeiten?

Der Austausch mit dem Vorstand an der Spitze sowie den Gremien ist sehr offen und konstruktiv. Wenn es sein muss auch kritisch und Sachkonflikte nicht scheuend. Insofern ist der Austausch heute noch besser als am ersten Tag.

Spüren Sie weiterhin die volle Rückendeckung des Vorstands?

Generell würde ich sagen, dass es beim FC im Innenverhältnis sehr ruhig ist, sehr nach vorne gerichtet und auf die Sache bezogen. Das schätze ich sehr, weil so jeder seiner Aufgabe bestmöglich nachgehen kann und sich nicht mit Nebenkriegsschauplätzen beschäftigen muss. Ich habe mir sagen lassen, dass das in der Vergangenheit nicht immer so war.

Es ging nach der Pandemie um Insolvenzabwendung. Dem musste alles untergeordnet werden, weil die Clubexistenz massiv gefährdet war.
Christian Keller

Welche Bindung haben Sie zum FC aufgebaut?

Schon zu meinem Dienstantritt habe ich gesagt: Ich sehe, dass der Geißbock und alles, was mit dem Geißbock zusammenhängt, etwas Besonderes ist. Mittlerweile spüre ich es auch. Ich darf jetzt Teil der emotionalen Wucht sein. Nach etwas mehr als zwei Jahren im Amt ist auch die Integrationsarbeit abgeschlossen, die Identifikation mit dem FC ist zu 100 Prozent da.

Was machen die vielen Rückschläge mit Ihnen?

Mit vielen Sachen hätte ich nicht gerechnet, als ich hierhin gekommen bin. Ich finde, dass wir bei der einen oder anderen Herausforderung sehr gute Lösungen gefunden haben – auch wenn diese sich noch nicht unmittelbar in positiven sportlichen Entwicklungen niederschlagen. Bei anderen Themenfeldern wie dem CAS-Verfahren haben wir sicher keine positive Lösung gefunden. Aber ich kann dennoch mit voller Gewissheit sagen, auch wenn es von außen betrachtet vielleicht schwer nachvollziehbar ist: Wir haben alles in unserer Macht stehende dafür getan. Am Schluss brauchst du für eine Lösung aber alle beteiligten Parteien.

In welchen Bereichen konnten Fortschritte erzielt werden?

Der FC war wirtschaftlich extrem angeschlagen. Wir haben von „Sanierungsfall“ gesprochen. Wir hätten es auch noch krasser ausdrücken können. Es ging nach der Pandemie um Insolvenzabwendung. Dem musste alles untergeordnet werden, weil die Clubexistenz massiv gefährdet war. Die Fortführung des FC ist der höchste Maßstab. Daher ging es bislang sportlich kaum um Kadergestaltung, sondern fast einzig um Kaderanpassungen, die das finanzielle Überleben des FC gesichert haben. In dem Rahmen, wie es möglich war, haben wir zudem deutlich verbesserte infrastrukturelle Trainingsbedingungen geschaffen. Wir haben zudem die organisatorische Weiterentwicklung vorangetrieben und sind nun strukturell leistungsfähiger. Ebenso haben wir wichtige konzeptionelle Basisarbeit geleistet, beispielsweise in Form einer einheitlichen Spiel- und Ausbildungsidee. Ich könnte mehrere weitere Punkte aufzählen, aber am Schluss zählt das sportliche Ergebnis auf dem Platz. Das ist der Hauptreferenzpunkt, an dem ich bewertet werde. Trotzdem ist er nicht meine einzige Aufgabe. Wir müssen zunächst die Bedingungen schaffen, damit der FC nachhaltig sportlich erfolgreich sein kann.

Es ist bekannt, dass ich versuche, langfristig orientiert zu agieren. Dennoch ist mir natürlich total bewusst, dass sich Fußball im Hier und Jetzt abspielt.
Christian Keller

Würden Sie sich wünschen, ligaunabhängig weiterzuarbeiten?

Es ist bekannt, dass ich versuche, langfristig orientiert zu agieren. Dennoch ist mir natürlich total bewusst, dass sich Fußball im Hier und Jetzt abspielt. Aber Management muss längerfristig gedacht werden. Es ist unser Bestreben, einen wirtschaftlich kerngesunden 1. FC Köln zu haben, der ausgehend von einem stabilen Fundament eine sportliche Leistungsfähigkeit aufbaut, die langfristig zu halten ist – und bei der es nicht im Wellental weiter auf und ab geht. Es gab beim FC in den letzten 30 Jahren zwei Höhepunkte mit der Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb. Ansonsten gab es viele Dellen. Das lag daran, dass es in vielen Bereichen nicht die nötige Substanz gab. Diese gilt es jetzt zu schaffen. Wenn die Substanz da ist, dann bin ich überzeugt, dass es sportlich nachhaltig wird.

Wie gehen Sie die Kaderplanung für die neue Saison an?

Es gibt nicht so viele Parameter, die beeinflussbar sind. Parameter eins sind die Leihspieler, die zurückkommen (Jonas Urbig, Tim Lemperle, Mathias Olesen, Nikola Soldo, Marvin Obuz, Maximilian Schmid; Anm. d. Red.). Parameter zwei sind Spieler, die wir geliehen haben und wo gegebenenfalls Kaufoptionen bestehen (Luca Waldschmidt, Faride Alidou, Rasmus Carstensen; d. Red.). Ob wir Kaufoptionen ziehen, werden wir nach Saisonende entscheiden. Dritter Parameter sind Spieler aus unseren Nachwuchsteams, verbunden mit der Frage, wem wir eine frühzeitige Chance geben.

Ginge es im Falle der Rettung auch in der neuen Saison nur um den Klassenerhalt?

Mit unserer Ausgangssituation wird das so sein. Wir dürfen uns erst ab Januar 2025 wieder verstärken, zudem ist die Transferperiode im Winter immer komplizierter als die im Sommer. Andererseits bietet diese Situation auch eine Chance. Wenn wir es jetzt schaffen, die Klasse zu halten, kann daraus ein großer Impuls nach vorne entstehen.

Im Sommer 2025 werden wir ligaunabhängig den Großteil der Verbindlichkeiten abgetragen haben. Dann ist der 1. FC Köln so gesund, wie seit ganz vielen Jahren nicht mehr.
Christian Keller

Planen Sie bereits die Phase ab Januar 2025?

Wir scouten fortlaufend. Der Scoutingblick ist auf den 1. Januar ausgerichtet. Wir haben unsere Schattenkader.

Bei vorherigen Abstiegen war der FC in der Lage, den direkten Wiederaufstieg anzugehen. Wäre dieses Vorhaben auch jetzt trotz Transfersperre möglich?

Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir die Liga halten. Über ein Zweitliga-Szenario möchte ich jetzt nicht sprechen. Klar ist aber: Im Management werden alle Szenarien geplant. Und: Der 1. FC Köln wird in der Saison 2024/25 ligaunabhängig wirtschaftlich stabil sein.

Wo steht der wirtschaftliche Gesundungsprozess?

Er ist sehr gut vorangeschritten. Wir können uns wieder aus eigener Kraft tragen. Das heißt, wir brauchen keine Sondereffekte mehr wie eine internationale Qualifikation. Genauso brauchen wir keine Transfererlöse, um ein mindestens ausgeglichenes Ergebnis hinzubekommen. Das ist enorm wichtig: Zum einen, um handlungsfähig zu sein. Und zum anderen, um die Verbindlichkeiten, die während der Pandemie angehäuft wurden, zurückzuzahlen. Im Sommer 2025 werden wir ligaunabhängig den Großteil der Verbindlichkeiten abgetragen haben. Dann ist der 1. FC Köln so gesund, wie seit ganz vielen Jahren nicht mehr.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Timo Schultz FC-Trainer bleibt?

Grundsätzlich macht Timo einen guten Job. Wir sprechen final nach Saisonende miteinander.

Wie bewerten Sie die spielerische Entwicklung unter Schultz?

In der Leistung haben wir uns deutlich stabilisiert, auch wenn es mit Ball nicht immer schön anzusehen ist. In diesem Bereich haben wir viel Luft nach oben. Trotzdem erspielen wir uns Chancen, nutzen aber viel zu wenige davon. Das ist unsere größte Baustelle.

Ich war der Meinung, dass es mindestens drei Mannschaften geben würde, die wir bis zum aktuellen Saisonzeitpunkt auf jeden Fall hinter uns lassen. Das war eine Fehleinschätzung von mir.
Christian Keller

Mit Blick auf den Punkteschnitt von 0,92 dürften Sie sich vom Trainerwechsel einen größeren Effekt erhofft haben.

Die fehlenden Punkte aus dem Heimspiel gegen Bremen (0:1) tun uns extrem weh, weil wir mit unserer schwächsten Leistung unter Timo gegen den tagesschwächsten Gegner im Jahr 2024 verloren haben. Das ist total bitter. Auch gegen Heidenheim, Hoffenheim, Stuttgart und München wäre mehr möglich gewesen. Wir hatten genug Gelegenheiten, um mehr Punkte einzufahren, haben sie aber nicht genutzt. Hinterhertrauen bringt allerdings nichts.

Verstehen Sie die Sorgen vieler Fans?

Ich verstehe die Sorgen auf die Lizenzmannschaft bezogen. Sie ist das Flaggschiff, an dem vieles hängt. Es war im Gesamtkontext schon vor Saisonbeginn zu erwarten, dass wir um den Klassenerhalt kämpfen werden. Ich war jedoch der Meinung, dass es mindestens drei Mannschaften geben würde, die wir bis zum aktuellen Saisonzeitpunkt auf jeden Fall hinter uns lassen. Das war eine Fehleinschätzung von mir. Da muss ich mir an die eigene Nase fassen. Unabhängig davon sage ich auch jetzt noch, dass die Qualität unseres Kaders ausreichend ist, um den Klassenerhalt zu schaffen.

Auch die Frauen stecken im Bundesliga-Abstiegskampf.

Das Abschneiden der Frauen sehe ich sehr kritisch. Wir sind mit der klaren Zielsetzung in die Saison gegangen, einen soliden Mittelfeldplatz zu erreichen. Etat und Kaderbesetzung geben das auch her. Dass wir jetzt in so einer kritischen Situation sind, darf nicht sein. Die Saison ist weit unter unseren Erwartungen verlaufen. Jetzt gilt es für die Frauen, gegen Freiburg zu gewinnen, um einen wichtigen Schritt in Richtung Klassenerhalt zu machen.

Wir spüren von außen ein hohes Maß an Zuspruch – obwohl es Dinge gibt, die kritisch zu bewerten sind. Das ist bemerkenswert gut.
Christian Keller

Im Nachwuchsbereich ist von einer Talente-Flucht die Rede.

Das teile ich überhaupt nicht. Fast alle Spieler, die wir als Talente mit Bundesliga-Perspektive betrachten, stehen bei uns längerfristig unter Vertrag. Dass der eine oder andere Spieler geht, gehört dazu. Konkret tun mir zwei Abgänge weh: Justin Diehl und Matti Wagner (Linksverteidiger, Anm. d. Red.). Bei beiden kann ich die Beweggründe verstehen. Letzterem ging es primär um die Konkurrenzsituation, die ihm auf seiner Position zu groß ist.

Was wünschen Sie sich für den weiteren FC-Weg?

Wir spüren von außen ein hohes Maß an Zuspruch – obwohl es Dinge gibt, die kritisch zu bewerten sind. Das ist bemerkenswert gut. Ich wünsche mir, dass unserem Weg, einen nachhaltigen 1. FC Köln zu bauen, weiter Glauben geschenkt wird und dass der Weg durch Zusammenhalt weiter unterstützt wird. Im Innenverhältnis wird es darauf ankommen, dass wir auf das, was an Integrität und Loyalität aktuell da ist, weiter positiv einzahlen.

Wie nehmen Sie die Fraktion wahr, die sich – angeführt vom ehemaligen FC-Spieler Dieter Prestin – im Umfeld bildet?

Bei so einem großen Club wie dem 1. FC Köln, mit dieser Historie und an diesem Medienstandort, ist man nie frei von externen Störgeräuschen. Die Frage ist: Welches Gewicht gibt man diesen externen Störgeräuschen im Innenverhältnis? Da kann ich sagen, dass die Äußerungen jener Personen, die sich in Position bringen, für uns überhaupt keine Rolle spielen. Wir nehmen das zur Kenntnis. Es beeinflusst das tägliche Handeln und die perspektivische Ausrichtung aber überhaupt nicht.

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